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Bodo Gaßmann: Ethik des Widerstandes. Abriß einer materialistischen Moralphilosophie

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Bodo Gaßmann:

Ethik des Widerstandes.  

Abriß einer materialistischen Moralphilosophie

Zugleich Erinnyen Nr. 10 - 14,

Garbsen 2001

ISDN 3-929245-04-3. 240 S., A 5,Paperback, geb., Sachregister, 15, - €.



Über unser neuestes Buch

Was der Autor vorlegt, ist nicht mehr und nicht weniger als ein ethisches Selbstbewusstsein
der gegenwärtigen Zeit. Seine Reflexionen schreiten von einer Kritik der ethischen Ideologie über die konkreten Möglichkeiten eines guten Lebens bis zu einer Pragmatik des Handelns im Widerstand.
Zugleich stellt diese Ethik in ihrem systematischen Teil einen "Abriß einer materialistischen Moralphilosophie" dar. Ethik und Moral sind in den sozialen Bewegungen bisher gründlich vernachlässigt worden. Dem will der Autor ein Stück weit Abhilfe schaffen. Jeder an Vernunft orientierte Mensch muss diese Argumente beachten, wenn er die Rationalität in moralischen Fragen ernst nimmt. Damit der Leser den Gedankenschritt von der ethischen Reflexion zum praktischen Leben gehen kann, enthält das Werk einen großen abschließenden Teil, in dem konkrete Ereignisse wie etwa Liebknechts Ablehnung der Kriegskredite oder die Sitzblockaden von Mutlangen exemplarisch unter ethischem Aspekt reflektiert werden. Wir meinen, daß dieses Buch zum Ausgangspunkt für ein Nachdenken über Moral in allen antikapitalistischen Bewegungen werden sollte.

Zielgruppe:

Alle, denen die ethische Dimension des politischen Handelns nicht gleichgültig ist und die sich ein moralisches Selbstbewusstsein zulegen wollen. Speziell: politisch Handelnde, die ein Bewusstsein von ihrem Tun haben wollen; Sozialisten und Kommunisten, Ethik-Lehrer;  Philosophie-Studenten und Philosophie-Lehrer.

Bildungsvoraussetzung:

Unsere Einführungsschrift "Was heißt Philosophie?", die Einführung in die kapitalistische Produktionsweise "Ökonomie" oder vergleichbare Schriften  und wenn möglich Grundkenntnisse in der Logik. Im Gegensatz zu unseren Einführungsschriften und Lehrbüchern ist die "Ethik des Widerstandes" keine Einführung.

 

 Inhaltsverzeichnis   und Leseproben:

Der Begriff der Freiheit im Kapitalismus   Freiheit und Vernunft  Freiheit pragmatisch

 

Inhalt

Vorwort     5

Einleitung     7

A.          Die Analyse des Handelns in der kapitalistischen Gesellschaft

1.          Bedingungen der Möglichkeit des Handelns

1.1.        Die Handlungen und ihr Gegenstand     9

1.2         Die Handlung und ihr Subjekt     11

1.3.        Handeln und Gesellschaft     17

1.4.        Handeln und Interesse     19

1.5.        Interesse und Moral     23

2.          Moral und Herrschaft

2.1.        Kapitalismus und Moral     9

2.2.        Freiheit in der kapitalistischen Gesellschaft     30

2.3.        Gleichheit  in der kapitalistischen Gesellschaft     38

2.4.        Eigentum und seine Ordnung     42

2.5.        Sicherheit in der Klassengesellschaft     47

2.6.        Gerechtigkeit und Herrschaft     54

2.7.        Der Imperativ der Veränderung     58

2.8.        Die Moral und ihr Subjekt     61

B            Glückseligkeit und Moral

3.           Glückseligkeit als oberster menschlicher Zweck 59

 

3.1.        Glück als Lust 63

3.2.         Das Glück des Denkens 68

3.3.         Soziales Glück

               Freundschaft, politisches Handeln, Internationalismus 74

3.3.1.      Freundschaft 74

3.3.2.      Politisches Handeln als Glück 76

3.3.3.      Internationalismus 79

4.            Zur Begründung eines obersten Moralprinzips

4.1.         Von der Notwendigkeit eines obersten Moralprinzips 82

4.2.         Kritik des ethischen Nihilismus - gegen Paschukanis 83

4.3.         Kritik der moralischen Spontaneität - gegen Adorno 86

4.4.         Zur Form der Deduktion eines obersten Moralprinzips 87

4.5.         Zur Deduktion des Inhalts eines obersten Moralprinzips

4.5.1.      Empirische Begründungen 89

4.5.2.      Utilitarismus 91

4.5.3.      Glückseligkeit 93

4.5.4.      Das wohlverstandene Eigeninteresse 93

4.5.5.      Logischer Positivismus und Werttheorie 94

4.5.6.      Die Goldene Regel 96

4.6.         Der Mensch als Zweck an sich selbst - der praktische Imperativ

4.6.1       Die Begründung des praktischen Imperativs 99

4.6.2.      Aporien des praktischen Imperativs 103

4.7          Ethische Konsequenzen des obersten Moralprinzips 105

4.7.1.      Freiheit und Autonomie 106

4.7.2.      Gleichheit und Würde 107

4.7.3.      Gerechtigkeit und Sicherheit 109

4.7.4.      Pflicht der Selbstvervollkommnung 110

4.7.5.      Solidarität 111

4.7.6.      Solidarität der Lohnabhängigen im Kapitalismus 114

4.7.7.      Solidarität im Sozialismus 116

 

C Die Pragmatik des Handelns

5.1.         Übergang der Moralphilosophie zur Pragmatik des Handelns     118

5.2.         Zweck-Mittel-Dialektik 120

5.2.1.      Zwecke und Mittel allgemein 122

5.2.2.      Toleranz der Mittel zum Zweck 124

5.3.          Regeln des Gebrauchs der Mittel 127

5.4.         Täter-Opfer-Dialektik 129

5.5.         Auswirkung auf die Opfer 130

5.6.         Taktik und Ethik 134

5.7.         Das Subjekt im Widerstand

               Orientierungspunkte seines Handelns 142

D Versuche, Reflexionen, Beispiele

Auf den Einzelnen kommt es an! 145

Der moralische Impuls 146

Der 2. Dezember 1914 147

Die Vergeblichkeit der Anstrengung 150

Adiaphora 152

Falsche Solidarität

Historische Illustrationen zu Gedanken Adornos 153

Kritik und Selbstkritik 155

Anpassung und Widerstand 157

Der Verrat der Intellektuellen I

Der bürgerliche Intellektuelle 159

Der Verrat der Intellektuellen II

Die Techniker und Naturwissenschaftler 161

Der Verrat der Intellektuellen III

Die Marxisten 164

„Moralisieren ist unmoralisch" 169

Tierschutz oder Widerstand sektiererisch 170

Ethischer Imperialismus - Moral als Propagandamittel 174

Über das Verhalten zum Krieg des demokratischen

Imperialismus 177

Guerilla-Krieg und Ethik 180

Verhör 185

Brutalität und Skrupel 187

„Gewaltfreier Widerstand" 190

Mutlangen oder Moral und Recht 191

Vergebung 193

„Motivieren" 196

Anmerkungen 201

Literaturverzeichnis 208

 

Der Begriff der Freiheit  im Kapitalismus

wird in der "Ethik des Widerstandes" entsprechend dem dialektischen Gang der Argumentation an verschiedenen Stellen behandelt. In Kapitel "Moral und Herrschaft" wird dargestellt, ob man von "Freiheit" im Kapitalismus überhaupt sprechen kann und was dieser Begriff bedeutet:

Freiheit ist das dem Anspruch nach oberste Prinzip der sich politisch emanzipierenden bürgerlichen Welt. Die Französische Revolution bestimmte es in der „Erklärung der Rechte des Menschen und Bürgers" von 1791 derart: „Die Freiheit besteht darin, alles tun zu können, was einem anderen nicht schadet." (19) (...) Der Inhalt der Freiheit ist der Genuß des Eigentums, „wonach jedem Bürger zusteht, seine Güter und seine Einkünfte, die Früchte seiner Arbeit und seines Fleißes zu genießen und nach eigenem Gutdünken darüber zu verfügen." (21) Später kommt noch der Begriff der „freien Privatinitiative des Unternehmers" (22) oder, allgemeiner formuliert, das Recht des Menschen „auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit" (23) hinzu.

In einer Gesellschaft von Engeln oder Freizeitmenschen, die nur gelegentlich und nur aus einer Laune heraus einmal fehlen, scheint dies eine gute Regel für das Zusammenleben zu sein. (...)

Unter den Bedingungen der kapitalistischen Produktionsweise ist die „praktische Nutzanwendung des Menschenrechtes der Freiheit (...) das Menschenrecht des Privateigentums" (26) an Produktionsmitteln. Es sind die Konkurrenten, die gegenseitig sich mit diesem Recht ihre Grenzen abstecken. Immerhin spricht für den Fortschritt des Freiheitsrechtes gegenüber dem feudalen Despotismus die Freiheit der Person, die auch dem Lohnabhängigen zukommt. Ohne die Freiheitsrechte keine Möglichkeit der Koalition unter den Lohnabhängigen und keine Möglichkeit der Kritik an den Grenzen dieses Rechtes wie der durch sie geregelten Herrschaft; ohne Koalitionsfreiheit und die Möglichkeit der Kritik keine sozialistische Bewegung, ohne diese keinen Sozialismus mit wahrer Freiheit der Menschen. Betrachte man jedoch die kapitalistische Produktionsweise selbst und untersucht dort, wie sich die Freiheitsrechte betätigen, dann wird deutlich, wie sie in faktische Unfreiheit umschlagen.

Der Austausch der Waren ist im Kapitalismus eine Konstituente dieser Produktionsweise. In der arbeitsteiligen Warentauschgesellschaft kann das einzelne Individuum wie das Einzelunternehmen nur seine konsumtiven und produktiven Bedürfnisse befriedigen, indem es auf dem Markt Waren anbietet und austauscht. Auch wenn sich der Wert der Waren als ein gesellschaftliches Verhältnis darstellt, das außerhalb der Produzenten und unabhängig von ihrem Willen existiert (27), so sind die Menschen als Wirtschaftssubjekte doch ein notwendiges Moment des Warentausches. „Die Waren können nicht selbst zu Markte gehen und sich nicht selbst austauschen." (28) Als Wirtschaftssubjekte müssen die Individuen bestimmte gesellschaftliche Eigenschaften neben ihren ökonomischen und individuellen Eigenschaften haben, die sie zu dieser Tätigkeit befähigen, nämlich rechtliche und moralische. „Um diese Dinge als Waren aufeinander zu beziehen, müssen die Warenhüter sich zueinander als Personen verhalten, deren Willen in jenen Dingen haust, so daß der eine nur mit dem Willen des andren, also jeder nur vermittelst eines, beiden gemeinsamen Willensakts sich die fremde Ware aneignet, indem er die eigne veräußert. Sie müssen sich daher wechselseitig als Privateigentümer anerkennen. Dies Rechtsverhältnis, dessen Form der Vertrag ist, ob nun legal entwickelt oder nicht, ist ein Willensverhältnis, worin sich das ökonomische Verhältnis widerspiegelt." (29) Die wechselseitige Anerkennung der Privateigentümer im Warentausch ist die ökonomische Voraussetzung der Freiheit der Personen. Wenn ohne diese Freiheit der Person kein Warentausch möglich ist, dann ist die Freiheit, alles tun zu können, was einem anderen nicht schadet oder was den Rechten des anderen nicht schadet eine notwendige Bedingung der Existenz der Warentauschgesellschaft. Eine Person ist ein mit freiem Willen begabtes menschliches Individuum, das über sich selbst verfügt und Verträge abschließen kann, also rechtsfähig ist. Die Ausweitung dieser persönlichen Freiheit auf die ganze Staatssphäre ist nur konsequent, wenn sich die Produktionsweise durchgesetzt hat, die diese Freiheit begründet. Nach der Abschaffung der Privilegien kann niemand mehr seine Bedürfnisse befriedigen als durch Warentausch. Wenn die Rechte in Form von Gesetzen die Grenzen der Freiheit bestimmen, dann müssen prinzipiell alle Personen an diesen Gesetzen mitwirken können, sollen sie nicht Gefahr laufen, ihrer persönlichen Freiheit per Gesetz beraubt oder unzulänglich und mehr als andere eingeschränkt zu werden. Als im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts auch die Lohnarbeiter und die Frauen das Wahlrecht erkämpften, schien die bürgerliche Welt ihren 1789 postulierten Anspruch verwirklicht zu haben. In der Sphäre des Rechts und der Moral scheinen die Menschenrechte ein Vernunftideal der Gerechtigkeit etabliert zu haben. Doch die Analyse des ökonomischen Inhalts der Freiheit widerspricht diesem Schein. „Der Inhalt dieses Rechts- und Willensverhältnisses ist durch das ökonomische Verhältnis selbst gegeben. Die Personen existieren hier nur füreinander als Repräsentanten von Ware und daher als Warenbesitzer." (30) Das ökonomische Verhältnis, das sich im Austauschprozeß von Waren realisiert, ist durch das Wertgesetz bestimmt. „Je größer die Produktivkraft der Arbeit, desto kleiner die zur Herstellung eines Artikels erheischte Arbeitszeit, desto kleiner die in ihm kristallisierte Arbeitsmasse, desto kleiner sein Wert." (31) Und umgekehrt. Die Warenbesitzer, wollen sie nicht ihr Eigentum in Form von Waren und Geld, generell von Kapital, verlieren, müssen sich dem Wertgesetz des Austauschprozesses unterordnen. Die Konkurrenz beginnt bereits bei der Produktion; auf dem Markt wird sich die Konkurrenz von Maschinenwaren und handgemachter Ware der gleichen Art derart auswirken, daß der Handwerker entweder in den Ruin getrieben oder gezwungen wird, ebenfalls mittels Maschinen zu produzieren. Entsprechendes gilt für jede Produktion gleichartiger Güter mit unterschiedlicher Produktivität. Da die Art der Güter von der Nachfrage abhängt, folgt daraus, daß die Art der Produkte und die Weise der Produktion nicht von den Wirtschaftssubjekten bestimmt wird, sondern ihnen aufgenötigt wird. Dies gilt auch für den Zweck der Produktion. In der Zirkulation von Kapital (Wert, der Wert erzeugt), in der der Warentausch nur ein Durchgangsstadium ist, scheint der unmittelbare Zweck der Gewinn zu sein. Doch ohne die Reinvestition eines großen Teils des Gewinns, würde der Austausch im ökonomischen Ruin enden, weil der Konkurrenzkampf die ständige Steigerung der Produktivität, d.h. vor allem die Verbesserung bzw. Erneuerung der Maschinerie, entsprechend dem Wertgesetz verlangt. Da dies für alle Unternehmen gilt, ist der Zweck der kapitalistischen Produktionsweise als Ganzer wie der eines einzelnen Unternehmens die Produktion von akkumulierbarem Mehrwert, die permanente Reinvestition der erwirtschafteten Profite, erweiterte Produktion, die Produktion von Produktivität, die Produktion um der Produktion willen. Diesen Zweck haben sich alle Personen in ihrer Funktion als Wirtschaftssubjekte unterzuordnen. Ihre Freiheit als Person, die im kapitalistischen Warentausch vorausgesetzt war, erweist sich in der Analyse dieser Produktionsweise als Unterordnung unter das zwar von ihnen erzeugte, doch verselbständigte Wertgesetz und unter den selbsterzeugten Zwang zur Produktion von akkumulierbarem Mehrwert. Als freie Wirtschaftssubjekte sind sie zwar immer noch Voraussetzung dieses Wirtschaftssystems, aber nur insofern sie ihre Freiheit den verselbständigten Mechanismen ihrer Produktionsweise unterwerfen. Das eigentliche Subjekt, das die Wirtschaft bestimmt, sind nicht sie, sondern ein „automatisches Subjekt" (32), das Kapital, der sich verwertende Wert. „Fixiert man die besonderen Erscheinungsformen, welche der sich verwertende Wert im Kreislauf seines Lebens abwechselnd annimmt, so erhält man die Erklärung: Kapital ist Geld, Kapital ist Ware. In der Tat aber wird der Wert hier das Subjekt eines Prozesses, worin er unter dem beständigen Wechsel der Formen von Geld und Ware seine Größe selbst verändert, sich als Mehrwert von sich selbst als ursprünglichem Wert abstößt, sich selbst verwertet. Denn die Bewegung, worin er Mehrwert zusetzt, ist seine eigne Bewegung, seine Verwertung also Selbstverwertung. Er hat die okkulte Qualität erhalten, Wert zu setzen, weil er Wert ist. Er wirft lebendige Junge oder legt wenigstens goldne Eier." (33) Die in den Verfassungen der kapitalistischen Demokratien fixierte Freiheit der Person erweist sich in der das Leben erhaltenden Grundlage, in der Ökonomie, als Unfreiheit. „Nicht die Individuen sind frei gesetzt in der freien Konkurrenz; sondern das Kapital ist frei gesetzt.". (34) Diese Einsicht entlarvt auch die Vorstellung, die Konkurrenz sei der Grund der gesellschaftlichen Freiheit als bürgerliche Ideologie, d.h. falsches Bewußtsein zur Herrschaftssicherung. „Was in der Natur des Kapitals liegt, wird nur reell herausgesetzt als äußere Notwendigkeit durch die Konkurrenz, die weiter nichts ist, als daß die vielen Kapitalien die immanenten Bestimmungen des Kapitals einander aufzwingen und sich selbst aufzwingen. (...) durch die freie Konkurrenz, d.h. durch den wirklichen Prozeß des Kapitals, der als Wechselwirkung der Kapitalien aufeinander erscheint und aller andren vom Kapital bestimmten Produktions- und Verkehrsverhältnissen. Daher andrerseits die Abgeschmacktheit, die freie Konkurrenz als die letzte Entwicklung der menschlichen Freiheit zu betrachten; und Negation der freien Konkurrenz = Negation individueller Freiheit und auf individueller Freiheit gegründeter gesellschaftlicher Produktion." (35)

Insofern die Lohnabhängigen in der Austauschsphäre agieren, sind sie ebenfalls Wirtschaftssubjekte, Vertragspartner und Konkurrenten um die Arbeitsplätze. Auch sie sind rechtlich freie Personen. Da sie aber kein Eigentum an Produktionsmitteln haben, können sie auf dem Markt nur ihre Arbeitskraft, der „Inbegriff der physischen und geistigen Fähigkeiten" (36) eines Menschen, tauschen, um ihre Bedürfnisse zu befriedigen. „Damit ihr Besitzer sie als Ware verkaufe, muß er über sie verfügen können, also freier Eigentümer seines Arbeitsvermögens, seiner Person sein." (37) Sie sind also doppelt frei, einmal rechtlich freie Person, zum anderen frei von Eigentum. So sind sie gezwungen, sich zur Ware zu machen und sich den Zwängen und Mechanismen der kapitalistischen Produktionsweise zu unterwerfen. Ist z.B. durch den technischen Fortschritt die Qualifikation meiner Arbeitskraft entwertet, kann ich sie nicht mehr verkaufen und verelende. „Die Sphäre der Zirkulation oder des Warentausches, innerhalb deren Schranken Kauf und Verkauf der Arbeitskraft sich bewegt, war in der Tat ein wahres Eden der angebornen Menschenrechte. Was allein hier herrscht, ist Freiheit, Gleichheit, Eigentum, und Bentham. Freiheit! Denn Käufer und Verkäufer einer Ware, z.B. der Arbeitskraft, sind nur durch ihren freien Willen bestimmt. Sie kontrahieren als freie, rechtlich ebenbürtige Personen. Der Kontrakt ist das Endresultat, worin sich ihre Willen einen gemeinsamen Rechtsausdruck geben. Gleichheit! Denn sie beziehen sich nur als Warenbesitzer aufeinander und tauschen Äquivalent für Äquivalent. Eigentum! Denn jeder verfügt nur über das Seine. Bentham! Denn jedem von den beiden ist es nur um sich zu tun. Die einzige Macht, die sie zusammen und in ein Verhältnis bringt, ist die ihres Eigennutzes, ihres Sondervorteils, ihrer Privatinteressen. Und eben weil so jeder nur für sich und keiner für den andren kehrt, vollbringen alle, infolge einer prästabilierten Harmonie der Dinge, oder unter den Auspizien einer allpfiffigen Vorsehung, nur das Werk ihres wechselseitigen Vorteils, des Gemeinnutzes, des Gesamtinteresses. Beim Scheiden von dieser Sphäre der einfachen Zirkulation oder des Warentausches, woraus der Freihändler vulgaris Anschauungen, Begriffe und Maßstab für sein Urteil über die Gesellschaft des Kapitals und der Lohnarbeit entlehnt, verwandelt sich, so scheint es, schon in etwas die Physiognomie unsrer dramatis personae. Der ehemalige Geldbesitzer schreitet voran als Kapitalist, der Arbeitskraftbesitzer folgt ihm nach als sein Arbeiter; der eine bedeutungsvoll schmunzelnd und geschäftseifrig, der andre scheu, widerstrebsam, wie jemand, der seine eigne Haut zu Markt getragen und nun nichts andres zu erwarten hat als die - Gerberei."(38) Einmal seine Arbeitskraft für bestimmte Zeitspanne verkauft, ist es dem Käufer der Arbeitskraft überlassen, wie er sie anwendet. Der Wert der Ware Arbeitskraft hängt von ihrer Produktion und Erhaltung ab, von dem dafür nach dem historischen Stand erforderlichen Wert der Lebensmittel. Der Wert der Arbeit, die der Arbeiter in der vertraglich festgelegten Zeit tatsächlich leistet, ist im allgemeinen größer als der Wert der Arbeitskraft, denn nur unter dieser Bedingung hat das Kapital ein Interesse, ihn zu beschäftigen. Durch die bloße Reproduktion des Wertes des Lohnes könnte sich das Kapital nicht verwerten, d.h. keinen Mehrwert zum Resultat haben, es wäre kein Kapital. „Daß ein halber Arbeitstag nötig, um ihn während 24 Stunden am Leben zu erhalten, hindert den Arbeiter keineswegs, einen ganzen Tag zu arbeiten. Der Wert der Arbeitskraft und ihre Verwertung im Arbeitsprozeß sind also zwei verschiedne Größen. Diese Wertdifferenz hatte der Kapitalist im Auge, als er die Arbeitskraft kaufte. Ihre nützliche Eigenschaft, Garn oder Stiefel zu machen, war nur eine conditio sine qua non, weil Arbeit in nützlicher Form verausgabt werden muß, um Wert zu bilden. Was aber entschied, war der spezifische Gebrauchswert dieser Ware, Quelle von Wert zu sein und von mehr Wert als sie selbst hat." (39) Die Differenz zwischen dem Wert der Arbeitskraft und dem Wert, den sie im Verwertungsprozeß schafft, also dem Wert der geleisteten Arbeit, macht den Begriff der Ausbeutung aus, der kapitalistischer Lohnarbeit immanent ist. Das Kapital übt über den Arbeiter eine ökonomische Herrschaft aus, das ist kostenlose Aneignung fremder Arbeit. Lohnarbeit macht also aus dem persönlich freien Arbeiter einen unfreien Knecht, und zwar auf dem Gebiet, das seine Existenz begründet.

Die Arbeiter im Produktions- und Verwertungsprozeß des Kapitals produzieren nun nicht nur ihren Lohn und einen Mehrwert fürs Kapital, sie reproduzieren auch den Wert der Rohstoffe, Maschinen, der Energie usw., der in das neu geschaffene Produkt eingeht, indem sie aus Produktionsmitteln Waren herstellen, also den Wert dieser auf die Waren übertragen. Diese wertmäßige Reproduktion der Produktionsmittel ist für das Kapital kostenlos. Am Anfang erschien das Arbeitsverhältnis als Ausdruck des freien Willens der Kontraktierenden, nun stellt es sich dar als gründend auf dem ökonomischen Zwang, sich dem Kapital unterzuordnen, sich ausbeuten zu lassen und das Ganze, dem man sich unterordnen muß, zu reproduzieren. „Was aber anfangs nur Ausgangspunkt war, wird vermittelst der bloßen Kontinuität des Prozesses, der einfachen Reproduktion, stets aufs neue produziert und verewigt als eignes Resultat der kapitalistischen Produktion. Einerseits verwandelt der Produktionsprozeß fortwährend den stofflichen Reichtum in Kapital, in Verwertungs- und Genußmittel für den Kapitalisten. Andrerseits kommt der Arbeiter beständig aus dem Prozeß heraus, wie er in ihn eintrat - persönliche Quelle des Reichtums, aber entblößt von allen Mitteln, diesen Reichtum für sich zu verwirklichen. Da vor seinem Eintritt in den Prozeß seine eigne Arbeit ihm selbst entfremdet, dem Kapitalisten angeeignet und dem Kapital einverleibt ist, vergegenständlicht sie sich während des Prozesses beständig in fremden Produkt. Da der Produktionsprozeß zugleich der Konsumtionsprozeß der Arbeitskraft durch den Kapitalisten, verwandelt sich das Produkt des Arbeiters nicht nur fortwährend in Ware, sondern in Kapital, Wert, der die wertschöpfende Kraft aussaugt, Lebensmittel, die Personen kaufen, Produktionsmittel, die den Produzenten anwenden. Der Arbeiter selbst produziert daher beständig den objektiven Reichtum als Kapital, ihm fremde, ihn beherrschende und ausbeutende Macht, und der Kapitalist produziert ebenso beständig die Arbeitskraft als subjektive, von ihren eignen Vergegenständlichungs- und Verwirklichungsmitteln getrennte, abstrakte, in der bloßen Leiblichkeit des Arbeiters existierende Reichtumsquelle, kurz den Arbeiter als Lohnarbeiter. Diese beständige Reproduktion oder Verewigung des Arbeiters ist das sine qua non der kapitalistischen Produktion." (40)

Der Arbeiter als rechtlich freie Person wird durch den Zwang, seine Arbeitskraft verkaufen zu müssen, zur perennierenden Unfreiheit verdammt. Indem er seine Arbeitskraft entfremdet, dem Kapital verkauft, schafft er auch ein ihm fremdes Produkt, das negativ auf ihn zurück wirkt, indem es seine Abhängigkeit verewigt. Dies ist die objektive Seite der Entfremdung. Subjektiv entfremdet der Lohnarbeiter sich dadurch auch von seiner Tätigkeit, die das entfremdete Produkt herstellt. Indem er sich von seiner Tätigkeit entfremdet, entfremdet er sich von sich selbst. Diese Selbstentfremdung muß sich auch in seiner Moral zeigen, insofern diese funktional in den Produktions- und Verwertungsprozeß des Kapitals eingeht. Zur Qualifizierung der Arbeitskraft gehört eine gewisse Arbeitsmoral: Fleiß, Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit, Genauigkeit u.a. Diese Tugenden, verstanden als verinnerlichte und zur Gewohnheit geronnene moralische Fähigkeiten, haben ihr Maß am Zweck, dem sie dienen. Ist dieser für den Arbeiter, wie gezeigt, die Ausbeutung und Reproduktion seines Abhängigkeitsverhältnisses, dann wird diese Moral zum inneren Feind des Lohnabhängigen, von dem er doch nicht lassen kann, will er seine Existenz sichern. Die äußere Unfreiheit des Arbeiters schlägt um in innere Unfreiheit.

 

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Freiheit und Vernunft

Im Kapitel "4.Zur Begründung eines obersten Moralprinzips" wird bewusst von der kapitalistischen Gesellschaft abstrahiert, nicht aber von dem Stand der Produktivkräfte, um allein aus der Vernunft zu begründen, was heute der Möglichkeit nach Moral heißen kann:

Der praktische Imperativ ist aus der Vernunft erschlossen, er setzt also denkende Subjekte voraus, die geistig frei sind und als solche Gesetzgeber kraft ihrer Vernunft sind und zugleich dem praktischen Imperativ untergeordnet sind kraft ihrer Einsicht in diesen. Auf Grund der menschlichen Praxis in der Geschichte und den Resultaten des Handelns habe ich schon die Freiheit des Willens als notwendige Bedingung der Möglichkeit dieser Resultate begründet. Wenn der Mensch aber kraft seiner Freiheit sich selbst Gesetze gibt, dann hat er Autonomie im strengen Kantischen Sinn. „Nun kann man sich unmöglich eine Vernunft denken, die mit ihrem eigenen Bewußtsein in Ansehung ihrer Urteile anderwärts her eine Lenkung empfinge, denn alsdenn würde das Subjekt nicht seiner Vernunft, sondern einem Antriebe, die Bestimmung der Urteilskraft zuschreiben. Sie muß sich selbst als Urheberin ihrer Prinzipien ansehen, unabhängig von fremden Einflüssen, folglich muß sie als praktische Vernunft, oder als Wille eines vernünftigen Wesens, von ihr selbst als frei angesehen werden; d.i. der Wille desselben kann nur unter der Idee der Freiheit ein eigener Wille sein, und muß also in praktischer Absicht allen vernünftigen Wesen beigelegt werden." (52) Autonomie ist die Eigenschaft des Willens, sich selbst Gesetze zu geben. (53) Dieser Begriff von Autonomie ist zunächst nur geistig. Es wäre aber ein Widerspruch in sich, wenn sich der menschliche Wille kraft der ihn bestimmenden Vernunft sich selbst Gesetze des Handelns gäbe, die nicht auch das praktische Handeln, das nur in der äußeren Wirklichkeit denkbar ist, bestimmten. Also kann Autonomie nur gedacht werden als praktische, also nur als Autonomie des Handelns. Ein Wille, der nicht tätig wird, ist kein Wille, ein praktisches Gesetz, das keine Praxis bestimmt, ist kein praktisches Gesetz. Das Handeln in der natürlichen und sozialen Wirklichkeit ist immer auch durch natürliche und soziale Gesetzmäßigkeiten wie durch zufällige Einflüsse bestimmt, die nicht durch die Freiheit des Denkens gesetzt sind, sondern als Heteronomie dieser vorausgesetzt sind. Dies berücksichtigt die Formulierung des praktischen Imperativs von Kant bereits, indem vom „bloßen Mittel" und von „auch als Zweck an sich selbst" gesprochen wird. Damit wird als Natur des Menschen seine Sozialität unterstellt, d.h. der Mensch als soziales Wesen, das mit anderen natürlich oder gesellschaftlich verbunden ist und untereinander kooperiert, in Arbeitsteilung zusammenarbeitet - alles Bestimmungen, die den einen Menschen für den anderen immer auch zum Mittel werden lassen. Insoweit die Heteronomie eine des Naturgesetzes ist oder der Natur des Menschen als Sozialwesen entspricht, stellt sie eine absolute Schranke der Autonomie dar. Praktische Autonomie muß also als beschränkte gedacht werden im Gegensatz zur völligen Autonomie der menschlichen Vernunft als Gesetzgeberin allein aus Freiheit. Handeln ist immer nur als konkretes denkbar, d.h. mit partikularen Zwecken und in singulären Situationen. Partikulare Zwecke sind aber immer auch heteronom bestimmt, z.B. durch die natürlichen Triebe des Menschen und seine vitalen Bedürfnisse, singuläre Situationen unterstehen den Naturgesetzen und den historischen Gesetzen der gesellschaftlichen Epoche. Praktische Autonomie des Menschen kann also nur die Möglichkeit sein, so zu handeln, daß die Verfolgung partikulärer Zwecke nicht im Widerspruch zum Moralgesetz steht, das sich seiner geistigen Autonomie verdankt.

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Freiheit pragmatisch

Will man diesen hohen Begriff der Freiheit nicht verleugnen, dann ist man vor das Problem gestellt, die gesellschaftlichen Bedingungen so zu verändern, dass diese Freiheit betätigt werden kann. Freiheit in der Praxis heißt also unter kapitalistischen Bedingungen, die Abschaffung dieser Ökonomie, um allererst die Bedingungen für Freiheit herstellen zu können. Die Veränderung selbst muss aber als Mittel schon immer auch das Ziel in sich enthalten.

Im Widerstand gegen die kapitalistische Produktionsweise und ihre Produktionsverhältnisse muß nun das verantwortlich handelnde Individuum wie die Gruppe, zu der es gehört, folgende allgemeine Aspekte beachten.

1. Vorausgesetzt ist die Erkenntnis, daß die kapitalistische Ökonomie abgeschafft gehört. Das handelnde Subjekt braucht also ein Selbstbewußtsein über seine Zeit, d.h. es sollte eine Analyse dieser Ökonomie betrieben haben und aus der darauf fußenden Gesellschaftstheorie wissen, daß Glück für Menschen nicht möglich ist in der antagonistischen Gesellschaft, weil in dieser die Menschen zum bloßen Mittel der Mehrwertproduktion werden und in ihrer Selbsterhaltung gefährdet sind.

2. Es muß Einsicht in das Moralgesetz haben, keinen Menschen als bloßes Mittel, sondern immer auch als Zweck an sich selbst zu behandeln, denn dieses ist die Grundlage einer Gesellschaftsordnung, die qualitativ höher stehen will, als dies auf kapitalistischer Basis jemals möglich ist.

3. Die handelnden Individuen und Gruppen müssen Sachkenntnis über ihre konkrete Situation, Wissen über die politischen Mittel der Veränderung und ihre Organisationsformen haben, damit sie verantwortlich handeln können.

4. Sie müssen ihre Mittel des Handelns mit Augenmaß einsetzen nach der Regel, immer die dem Moralgesetz adäquatesten Mittel zu verwenden, soweit dies die antagonistischen Verhältnisse zulassen. Sie dürfen unmoralische Mittel und Opfer nur in Kauf nehmen, wenn diese ihnen durch die Gewalt der Verhältnisse aufgezwungen werden.

Verantwortungsbewußtsein vor dem Moralgesetz, ein Selbstbewußtsein über die Epoche, Sachkenntnis über die Taktik der Politik und die konkrete Situation, Erfahrung und Augenmaß in dieser garantieren aber noch keinen Erfolg, sie sind notwendige intellektuelle Voraussetzungen des verändernden Handelns, aber keine hinreichenden. Hinreichend ist letztlich nur die erfolgreiche Tat, die immer auch durch ein spontanes Moment und Unbestimmtheiten der konkreten Situation geprägt ist. Eine Pragmatik des Handelns kann deshalb auch keine Wissenschaft sein, die apodiktische Urteile ausspricht. Apodiktisch läßt sich nur das Moralgesetz bestimmen. Die Pragmatik bleibt prinzipiell im Bereich des Problematischen.


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